Erasmus von Rotterdam – Wider die Torheit

Desiderius Erasmus von Rotterdam ist der Namenspatron eines Programms für Austauschstudenten. Das passt ganz gut, weil Erasmus ein „Bürger der Welt“ zu sein beanspruchte, einer Welt, die damals in den Grenzen Europas bestand. Aber eine AfD-nahe Stiftung wurde ebenfalls nach diesem 1466 geborenen und 1536 verstorbenen Schriftsteller benannt. Der Verleger Wolfgang Hörner war davon „überrascht“, wie er am 7. März 2019 in Freiburg bei der Vorstellung des Büchleins „Der sprichwörtliche Weltbürger“ erklärte. Ort der Veranstaltung war der einstige Wohnsitz von Erasmus von Rotterdam in Freiburg, in dem sich heute eine Sparkasse befindet. Das Büchlein enthält aus dem Lateinischen übersetze Texte aus Erasmus von Rotterdams‘ Hauptwerk „Adagia“, bei dem es sich um eine Sprüchesammlung mit Erläuterungen handelt. Auch innerparteilich wurde der Namenspatron für die AfD-nahe Stiftung nicht nur als Selbstverständlichkeit aufgenommen, über Alternativen für eine Umbenennung laut nachgedacht.

Was also ist so überraschend, wenn eine der AfD nahestehende Stiftung sich – auf Anregung von AfD-Gründergeist Konrad Adam – Erasmus von Rotterdam als Namenspartonen wählte? Erasmus von Rotterdam wurde in Holland geboren, das seinerzeit zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte. Gerne kam Erasmus von Rotterdam immer wieder nach Holland zurück. Die ganz große Liebe zu Deutschland entwickelte sich bei Erasmus von Rotterdam nicht, es sagte ihm das liberalere Basel mehr zu als Freiburg im Breisgau. Vor allem aber läßt sich Erasmus von Rotterdam als jemand lesen, der auf Fehlentwicklungen mit geistreicher Ironie reagierte, ohne selbst derart Partei zu werden, dass er sich auf die Seite Luthers geschlagen hätte. Nicht Revolution, sondern Evolution sei Erasmus‘ Sache gewesen, war an diesem Abend in Freiburg zu erfahren.

Den Anspruch, die Schweiz und ihr Demokratieverständnis vorbildlich zu finden und evolutionär wirken zu wollen, wird man auch der AfD und der ihr nahestehenden Stiftung nicht absprechen können, auch wenn der Verfassungsschutz sie schon mit der Etikette „Prüffall“ abzustempeln versucht. Erasmus‘ Name steht für den Austausch der Argumente, dabei dem Streben nach Ausgleich verpflichtet. Wo also liegt das Problem?

Laut dem gemeinsamen Vorwort von Hörner und des Übersetzers Tobias Roth steht die AfD nicht für „Weltbürgerlichkeit, Toleranz und vehementen Pazifismus“; sie werde auch mit „tiefer Abneigung gegen Anmaßung, Streit und Parteienzank, mit Freigiebigkeit und Herzensgüte gegenüber Fremden und Verfolgten eher weniger in Verbindung gabracht“. Bloße Unkenntnis über die AfD wird man den Herausgebern nicht vorwerfen können, Parteienzank lässt sich kaum verbergen. Umso wichtiger wäre eine daneben stehende Stiftung. Das mit den Fremden ist hingegen eine Sache, da liegen zwischen Erasmus von Rotterdam und heute 500 Jahre. Die kulturfremde Massenzuwanderung konnte Erasmus so nicht im Blick gehabt haben. Für programmatische Aussagen eignet sich das kaum. Erasmus war an christlich-abendländischem Denken gelegen, wie es aus der Zeit des 4. Jahrhunderts stammt. Auch das wird dem Anspruch nach die AfD-nahe Stiftung nicht aufgeben wollen. An Bildungsansprüche zu erinnern, um die es Erasmus von Rotterdam ging, dürften einer Stiftung nicht schaden.

Stiftungsarbeit und Bildung mit „Adagia“-Sprüchen und Weisheiten?  „Aus einer Mücke einen Elefant machen“ etwa bedeute, eine Sache übertrieben darzustellen. Ein solches Vorgehen führe zu nichts Fruchtbarem. Schlimmer noch, „Steit gebiert Streit“, was als Warnung gemeint ist, dem Unrecht lediglich „Einhalt gebieten“ zu wollen, aber nicht auf Rache und damit auf Dauerstreit auszugehen. Eine sicher auch für Parteien wichtige Anregung. Wer vor lauter Techtelmechtel das Ganze nicht mehr sieht, nimmt auch nicht mehr wahr, mit anderen im selben Boot zu sitzen und riskiert in seinem Eigennutz das gesamte Staatsschiff oder eben die innere Ordnung der Partei.

Die Herausgeber meinen, mit dem Bezug auf Erasmus von Rotterdam läge ein von der AfD und der  ihr nahestehenden Stiftung ein selbst gesetzter Maßstab vor, an dem man sie wird messen können. Das ist sicher ein hoher Maßstab, und das Büchlein enthält so manche Warnung und Weisheit aus der „Adagia“. Gleichwohl dürfte noch auf andere Schriften von Erasmus von Rotterdam aufmerksam gemacht werden als nur die „Adagia“, namentlich „Lob der Torheit“. Hier werden Charaktere beschrieben, die es erst ermöglichen, dass die Torheit regiert. Die Torheit hat viele Freunde, seien es die Schläfrigen oder die gedankenlosen Beifallsklatscher. Gilt das für die Regierenden, heute die Bundeskanzlerin, die auf Parteitagen mit Dauerapplaus bedacht wird? Sicher, auch wenn an diesem Abend davon in Freiburg bei der Buchvorstellung nichts zu hören ist. Letztlich ist keine Partei davor sicher, einem Toren zu verfallen, wogegen nur aufgeweckte Mitglieder helfen.

Niemand dürfte Erasmus von Rotterdam für sich gepachtet haben, aber wer ihn bedenkt dürfte im Vorteil sein.

(V. Kempf, Typoskript von März/April 2019)

Erasmus von Rotterdam: Der sprichwörtliche Weltbürger. Ausgewählt und bevorwortet von Wolfgang Hörner und Tobias Roth. Übersetzt von Tobias Roth und Theresia Payr. Verlag Das Kulturelle Gedächtnis. 96 Seiten. 10 Euro.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.