Der Brexit im historischen Bewußtsein

11Die Bundeskanzlerin Deutschlands trat am 24. Juni 2016 vor die Kameras und erklärte, die Entscheidung der Briten für einen Brexit müsse mit „historischem Bewußtsein“ mit Schlussfolgerungen bedacht werden. Dies wirft die Frage auf, welches „historisches Bewußtsein“ Frau Merkel hat, um den Brexit einzuordnen. Merkel meint: „Die Idee einer europäischen Einigung war eine Friedensidee“. Zwischen den Zeilen klingt das so, die Briten wollen keinen Frieden, weil sie dieser Friedensidee in ihrer konkreten weltlichen Gestalt EU nicht mehr folgen wollen. Wo den Briten der Schuh drückt, ist dann nachrangig. Mit dieser besserwisserischen Kultur des Weghörens spaltet Merkel Europa immer tiefer, sie ist damit selbst eine Ursache für den Brexit. Merkels historisches Bewußtsein ist befangen, weil sie selbst ein Teil des Problems ist.

Merkel meint, was die EU will, dient dem Frieden. Das klingt nach Alternativlosigkeit. So einfach ist das aber nicht mit dem Frieden. Als sich die Idee der Europa-Union nach dem Krieg aufmachte, verband sich dahinter ein Friedensideal. So weit, so richtig. Neben der wirtschaftlichen Einigung, verband sich mit diesem Ideal in Deutschland aber auch eine Vorstellung von einer politischen Einheit. Von einem  Bundesstaat in Anlehnung an die USA wurde mitunter gesprochen. Als es 1950 auf deutscher Seite eine Probevolksabstimmung in der Gemeinde Breisach gab, die Eugen Kogon als Vorsitzender der Europa-Union-Bewegung initiierte, sollte das der Legitimation dienen. Das Volk, so Kogon, müsse hinter der Idee stehen, die die Politik versucht zu verwirklichen. Wenn mit Idealen Wirklichkeit geschaffen werden soll, sollte die Wirklichkeit im Blick bleiben. Zu oft machten sich beim Verfolgen von Idealen unerwünschte Nebenfolgen breit, die sich zu Hauptfolgen auswuchsen. Dagegen sich einfach auf ein Ideal zu berufen, es könne nicht falsch sein und müsse immer weiter verfolgt werden, kann dann für die Wirklichkeit umso schlimmer sein, wie der idealistische Philosoph Hegel noch wusste. Die Frage „Die Europäische Union – Perspektiven mit Zukunft?“ lag schon länger in der Luft.

Ein Ideal über die Wirklichkeit zu stellen, wird dazu führen, Kritik als Abweichlertum zu brandmarken. Die kritisierten Punkte lassen sich aber damit nicht aus der Welt schaffen. Das ist genau das Problem. Immer wieder wurden Bedenken angemeldet: Der Euro hält nicht, was er verspricht. Vertragsbruch zur Rettung des Euros ist keine Grundlage für die Zukunft. Die politische Einigung weiter Teile Europas in der EU verkennt die Wirklichkeit des jeweiligen Souveräns in den Mitgliedsstaaten. Ein Europa, das kein Europa der unterschiedlichen Regionen mehr sein darf, führt zur Vereinheitlichung von Ungleichem. Die Finanzhoheit der Nationalstaaten auszuhöhlen, wird in den Nationalstaaten früher oder später zu Unmut führen, übervorteilt zu werden. Zuletzt mündet die herrschende Migrationspolitik der EU abermals mit Vertragsbrüchen in ein zunehmendes Chaos, in dem  Deutschland sich in der EU zunehmend isoliert.

Man soll die Bürger auf einem Weg zu politischen Veränderungen mitnehmen, also ab und an fragen, ob es noch bereit ist einen Weg mitzugehen. Das hat Großbritannien getan. Die Briten haben mehrheitlich genug von der EU. Kritik wurde lange genug in den Wind geschrieben, mitunter verächtlich gemacht. Die Quittung ist jetzt da. Das jeweilige Staatsvolk ist der Souverän, dies deutlich gemacht zu haben, ist das Erleichternde an der Brexit-Abstimmung. Einen Wermutstropfen gibt es gleichwohl über den Brexit. Die Briten waren immer ein Garant für mehr Vernunft und Rationalität in der EU. Im EU-Parlament waren die Briten eine wichtige Stimme für eine kritische Weiterentwicklung der EU und immer für eine Warnung vor Überteibungen gut. Diese Stimme wird fehlen, nicht zuletzt sicher auch den EU-Abgeordneten der AfD. Aber der Donnerknall der Briten wird noch lange nachhallen und der EU sehr zu denken geben. Ein weiter so, wie bisher, wäre fatal. Ein Rückbau der EU hin zu einer Wirtschaftsunion, wie sie die AfD in ihrem jüngst beshlossenen Bundesprogramm fordert, wäre jetzt überfällig.

Mit historischem Bewußtsein betrachtet war einigen klugen Köpfen wie Helmut Schelsky von Anfang an klar, dass aus einer politischen Einheit Europa nicht viel werden kann, weil es die Wirklichkeit der Souveränität der Völker verkennt. Der Zusammenbruch des Sowjetimperiums sollte genau diese Überlegungen als historisches Lehrstück untermauern. Die Völker erwiesen sich als einen historischen Faktor, ohne den keine Rechnung aufgemacht werden kann. Andernfalls wäre die UdSSR nicht in Nationalstaaten zerfallen. Eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft blieb aber auch für Kritiker der Europa-Union-Bewegung realistisch. Kritische Stimmen sollten immer ernst genommen werden, denn  in der Sache könnten sie absolut richtig liegen. Ein EU-Volk jedenfalls gibt es nicht und wird es nie geben. Das ist die Realität.

(V. Kempf, Europastadt Breisach)

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