Texte

Beiträge aus der Jungen Freiheit, hier abrufbar: https://jungefreiheit.de/service/archiv/

Anläßlich des 100. Geburtstages von Herbert Gruhl in 2021 siehe dien Aufsatz: „Herbert Gruhls Dienst auf dem Planeten“, unter: http://herbert-gruhl.de/herbert-gruhls-dienst-auf-dem-planeten/

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Bundesrepublik wird zur „besten DDR, die es je gab“

Ein umfangreiches Kompendium des 2003 verstorbenen Sozialwissenschaftlers Erwin K. Scheuch liegt vor

Volker Kempf

Von bedeutenden Persönlichkeiten der Sozial- und Wissenschaftsgeschichte bleibt meist ein zentraler Gedanke in Erinnerung. Bei Max Weber dürfte als erstes seine Theorie von der Bedeutung des Calvinismus für die Entstehung des Kapitalismus haften geblieben sein, bei Helmut Schelsky seine kämpferische Art, wie sie in „Die Arbeit tun die anderen“ zum Ausdruck kommt, und bei Erwin K. Scheuch, dem letzten Klassiker der deutschen Soziologie, sein entschlossenes Forschen und Publizieren ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten in der Politik. Das bekannteste Buch Scheuchs, das er zusammen mit seiner Frau Ute vorgelegt hat, ist dann auch die Studie „Cliquen, Klüngel und Karrieren“, das „Über den Verfall der politischen Parteien“ handelt – oder genauer: den Verfall der politischen Kultur. Ute Scheuch ruft nach ihrer einbändigen Biographie aus dem Jahre 2008 sieben Jahre später in ihrer nunmehr dreibändigen Biographie den ganzen Erwin K. Scheuch in Erinnerung.

Bundesrepublik wird zur „besten DDR, die es je gab“

Über die Person Erwin K. Scheuch wird ein Panorama der Sozial- und Wissenschaftsgeschichte eröffnet und eine Zeitreise durch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum wichtigsten Vertreter der Kölner Schule neben René König aufgestiegen, scheinen die Abgrenzungskonflikte der verschiedenen akademischen „Schulen“ auf, aber auch die totalitären Wirren im „roten Jahrzehnt“, über die Ute Scheuch 2008 bereits einen eigenen Wurf landete und nun die Reaktionen darauf präsentiert.

Erwin K. Scheuch selbst nahm eine „pessimistische Einschätzung über das Fortleben der ‘68er’ nach ihrem ‘langen Marsch durch die Institutionen’“ vor und behielt den damit verbundenen Dogmatismus im Blick, wenn er in seiner Aufsatzsammlung „Muß Sozialismus mißlingen?“ schrieb: „Es wird sich erweisen: Der reale Sozialismus störte eher. Jetzt ist die Zeit eines utopischen Sozialismus wieder gekommen, der mehr ist als ein Appell an edle Gefühle – ein Sozialismus als Gegenaufklärung, ein Sozialismus, der die Herrschaft einer überflüssigen Kaste rechtfertigt.“

Verblüffende Erfahrungen machte Scheuch an seinem Kölner Lehrstuhl aber auch mit heute so selbstverständlich gewordenen Dingen wie der „Auftragsforschung“, bei der etwa Energieverbrauchsprognosen einfach vorgegeben wurden, welche aber illusorisch waren. Erwin K. Scheuchs Hauptwerk wurde gerade noch zu Lebzeiten des 2003 Verstorbenen fertiggestellt, trägt den Titel „Sozialer Wandel“, umfaßt zwei Bände und könnte heute aufgrund aktueller Phänomene wie der Euro-Krise fortgeschrieben werden. Erwin K. Scheuch – das wird noch einmal deutlich – arbeitete sowohl wissenschaftlich fundiert als auch allgemein verständlich, mitunter sogar mit Wortwitz, wenn er 1995 formulierte, die Bundesrepublik entwickele sich zur „besten DDR, die es je gab“.

Vor allem fand der Soziologe immer wieder Themen von großer allgemeiner Relevanz und schreckte auch nicht vor „heißen Eisen“ wie „‘Ausländerfeindlichkeit’ – Sachprobleme oder agitatorische Keule?“ zurück, worauf Ute Scheuch abschließend eingeht. Heute dagegen werden die Leser sozialwissenschaftlicher Literatur meist entweder mit ausweichenden Themen gelangweilt, oder die Gesinnungsethik wird überbetont, um ja nicht anzuecken.

Erwin K. Scheuchs Stimme fehlt heute in der akademischen Gleichtönigkeit ganz besonders. Um so wichtiger ist es, sich über Ute Scheuchs „soziologische Hintertreppe“ einen originären Zugang zur Sozial- und Wissenschaftsgeschichte des Kölner Soziologen zu verschaffen. Dabei eignet sich das vorliegende Werk auch als Nachschlagewerk, um einzelne Themen herauszugreifen, sich anregen zu lassen und sie weiterzudenken.

Ute Scheuch (Hrsg.): Erwin K. Scheuch. Wer da hat, dem wird gegeben. 3 Bände. Edwin Ferger Verlag, Bergisch Gladbach 2015, broschiert, 1.169 Seiten, 99 Euro

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Ist der Soziologe Prof. Helmut Schelsky (1912-1984) noch aktuell ?

Gastbeitrag von GEORG K. SCHMELZLE

Dipl. Sozialwirt, OStR.i.R.; D 26506 NORDEN / Ostfriesland,

Vortrag bei dem Johann-Heermann-Kreis der ev. Schlesischen Lehrer aus Ost und West, 45.Pädagogen-Tagung in Springe/Deister, Martin-Luther Haus am 8.Oktober 2013

Der führende deutsche Nachkriegsoziologe beschäftigt sich m.E. mit dem zweitwichtigsten Problem unser Gesellschaft mit der Verschulung der Jugend durch Bildungsneid. Das drängenste Problem ist die demographische Katastrophe, die schon Hochkulturen wie Rom und Griechenland zerstörte: Kinderarmut der tüchtigen Familien und vor allem die Ablehnung genetischer Unterschiede der Begabung  wegen des Glaubens an die Allmacht der Pädagogik Thilo Sarrazin hat das in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ vorsichtig angedeutet.

Aber auch die Pädagogik wird von dem Gesetz des abnehmenden Nutzenertrages beherrscht-

d.h. jedes Schuljahr bringt bei einer für die Bildungsinhalte nicht passenden Begabung kleinere Bildungserfolge – zuletzt schlägt die Verschulung ins Gegenteil um.(K.V.Müller)

Junge , praktisch begabte Jugendliche, die mit 16 Jahren schulmüde sind, werden total arbeitsunfähig, wenn sie die Ausbildung ihrer praktischen Fähigkeiten durch Verschulung altersmäßig vor der Volljährigkeit verpassen. Dabei gibt es viele Beispiele, daß nach einer frühen praktischen , dualen Lehre das Interesse an theoretischem Wissen wieder zunimmt. Die vielen Karrieren nach 1945 auf dem sog. „Zweiten Bildungsweg“ sind Zeugnis dafür.

Heute aber wird vielen dieser Aufstieg verstellt durch das Überangebot von Studierten ohne Praxiserfahrung, die sich die Posten sicher wollen. Deshalb streben noch mehr nach dem Abitur und dem Studium, auch wenn es nur durch Nachhilfe zu erwerben ist.

Nun zu Helmut Schelsky, der das Problem schon 1975 provokativ beim Namen nannte und sich dadurch den Haß der Soziologen der „Frankfurter Schule“ zuzog. Sein Buch „Die Arbeit tun die anderen – wider die Priesterherrschaft der Intellektuellen und Funktionäre“ war eine Hilferuf gegen die Verschulung, die mit der „Bildungskatastrophe“ von Prof. Georg Picht 1967 einsetzte, der meinte wir müssten wie in den USA 8o% Abiturienten ausbilden. Dabei vergaß er, daß das „High-School-Certificate“ nicht einmal der Mittleren Reife entsprach.

Schelsky verlor den Streit mit der „Frankfurter Schule“ und zog sich als Rektor der Reformuniversität Bielefeld wieder nach Münster zurück und starb verbittert bereits 1984 mit 72 Jahren. Die Verschulung in der Bundesrepublik konnte nicht mehr gestoppt werden die von der „Frankfurter Schule“ und Prof. Rene König(Köln) vertreten wurde.

Schelsky, der mit seinen Nachkriegswerken, besonders mit der „Skeptischen Generation“ große Anerkennung gewonnen hatte, fand keinen Nachfolger, der seine Warnungen weiter verbreiterte. Er wäre zu seinem 100. Geburtstag 2012 fast vergessen worden, wenn nicht der Soziologe Volker Kempf ein Buch mit dem Titel „Helmut Schelsky – Leben ,Werk, Aktualität“ mit einem Nachwort von Prof. Jost Bauch herausgebracht hätte. Volker Kempf ist Vorsitzender der „Herbert Gruhl-Gesellschaft“ – der erste GRÜNE, der sich in seiner Partei, der CDU, leider mit seinem Naturschutz (Buch: „Ein Planet wird geplündert“) nicht durchsetzen konnte).

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Ein Leben für die Freiheit: Julius Leber (1881-1945)

Julius Leber wurde am 16. November 1891 in Biesheim geboren, besuchte in Breisach die Höhere Bürgerschule und machte bei der Tapetenfabrik Erismann eine kaufmännische Ausbildung. Er erlangte 1912 in Freiburg das Abitur und wurde noch als Schüler Mitglied der SPD. Es folgte ein Studium der Nationalökonomie und Geschichte in Straßburg und Freiburg. Er schloß sich anfangs einem katholischen Studentenverein an. Als der I. Weltkrieg ausbrach, meldete sich Leber freiwillig zum Kriegsdienst und wurde Offizier. Nach dem Krieg diente Leber zunächst als Soldat zur Grenzsicherung im Osten. Er führte sein Studium fort und wurde an der Universität Freiburg zum Dr. rer. pol. promoviert. Politisch entwickelte sich Leber in der Weimarer Republik vom marxistischen zum reformerischen Flügel der SPD. Er wurde Lübecker Bürgerschafts- und Reichstagsabgeordneter.

Nach dem Krieg waren die Bürger ohne Zuversicht. Mit Hitler sollte Deutschland aufgerichtet und von der „Schmach von Versailles“ befreit werden, so die weit verbreitete Hoffnung. Leber teilte diese Hoffnung nicht. Drei Wochen nach der Machtübernahme Hitlers nahm Julius Leber am 19. Februar 1933 an einer großen Versammlung teil, auf der er das Wort „Freiheit“ ausrief. Dieses Wort meint mit Kant „die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“. Trotz seiner Wiederwahl zum Reichstagsabgeordneten wurde Leber zu 20 Monaten Haft verurteilt und bis 1937 in den Lagern Papenburg und Sachsenhausen interniert. Die Nationalsozialisten wähnten sich auf der Höhe ihrer Macht und damit sicher genug, Leber aus der Gefangenschaft zu entlassen.

1943 hatten Julius Leber und andere Verschwörer nach Erkundigungen unter Industriearbeitern den Eindruck gewonnen, dass der Führer-Mythos weiter wirkte, nicht zuletzt durch die Schrecken des Bombenkrieges. Hitler würde schon wieder eine Lösung finden, nur er, kein anderer könne das, glaubten viele. Wie würde in solch einer Situation ein Attentat auf Hitler aufgenommen werden? Würde das viel bringen?

Studiert man die Literatur zum „20. Juli 1944“, so sticht Julius Leber hier als einer der „tatentschlossensten Figuren des deutschen Widerstandes“ (Joachim Fest) hervor, der auf den 16 Jahre jüngeren Graf von Stauffenberg einen großen Eindruck machte. Stauffenberg, der militärisch-konservativen Widerstandskreisen angehörte, erkannte die sozialdemokratischen Rettungsversuche der Weimarer Republik an. Er hätte Leber für den Fall eines erfolgreichen Staatsstreiches gerne als Kanzler oder Innenminister einer Übergangsregierung gesehen. Ende Juni 1944 wurde Leber ein Treffen mit Kommunisten zum Verhängnis, auf dem ein Spitzel zugegen war. Er wurde verhaftet, noch ehe es zum Attentat kam. Stauffenberg brauchte den erfahrenen, von ideologischer Beengtheit freien Sozialdemokraten und wollte ihn befreien. Doch der Staatsstreich misslang. Vor seiner Hinrichtung am 5. Januar 1945 mußte sich Leber dem Volksgerichtshof stellen, vor dem der Einzelne keine Rechte mehr hatte.

Leber zweifelte nicht, dass für die Freiheitsrechte der Einsatz des eigenen Lebens ein angemessener Preis sei. Heute bilden diese Rechte den Kernsatz der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Kein Kampf für ein Volksganzes, für dies oder das kann das relativieren, nach der Devise, „für eine ‚gute’ Sache sollte man das nicht so genau nehmen“. Eine geschriebene Verfassung hat aber nur Bestand, wenn sie auch gelebt wird. „Jeder muss die Rechte der anderen respektieren“, lautet ein pädagogischer Hinweis in Schulklassen der Julius-Leber-Schule. Schließlich will jeder, dass auch seine Rechte geachtet werden. Dieses Prinzip der Gegenseitigkeit will früh eingeübt und später vorgelebt werden. Es bedeutet Verlässlichkeit und stellt Planungen auf den sicheren Grund der Dauer. Mut zum Widerspruch, wo dieses Prinzip verletzt wird, ist wichtig. Transparenz in Entscheidungsprozessen bleibt eine wichtige Voraussetzung für den mündigen Bürger.

Was Freiheit heute bedeutet und voraussetzt, darüber ließe sich vieles mehr sagen. Fest steht, Julius Leber regt auch 120 Jahre nach seiner Geburt zum Nachdenken über dieses wichtige Thema an. In Zeiten, in denen große Vorbilder und eine geistige Orientierung rar sind, kann Julius Leber als Namenspatron einer Schule in Breisach nur als Glücksfall und hoher Anspruch zugleich gesehen werden.

Es verstand sich Leber übrigens als Elsässer, bewahrte sich seinen Dialekt und blieb seinen Wurzeln treu. Er besuchte jährlich seine Mutter in Biesheim. Leber war auch Anhänger der elsässischen Autonomiebewegung. Das Schicksal dieser Bewegung mit ansehen zu müssen, wie sie auch nach dem Krieg im Elsass in eine Zeit der Unterdrückung geriet, blieb Leber erspart und wäre aufgrund der weitgehenden Nichtbeachtung ein eigenes Thema wert.

(Volker Kempf, Breisach aktuell, 16.11.2011)